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Wirtschaft Der Niederrhein - Strukturregion im Wandel

Wenn man an das Thema Strukturwandel denkt, dann kommt einem das Ruhrgebiet in den Sinn. Aber auch der Niederrhein hat einen solchen schon erlebt - und das sogar früher.

Fußball-WM 2010 in Kapstadt: Die Krefelder Firma Verseidag lieferte die silbrig glänzende Membran für das Dach des Greenpoint-Stadions. FOTO: DPA

In Krefeld im Besonderen und am Niederrhein im Allgemeinen gibt es – und gab es schon vor rund 50 Jahren – einen Strukturwandel. Der allerdings – gerade auch im Vergleich zu dem anderen großen Strukturwandel in Deutschland, dem in den Kohlerevieren an Rhein, Ruhr und auch Saar – nicht ganz so bekannt und präsent ist. Am Niederrhein ist es vor allem die historisch tief verwurzelte Textilindustrie vor allem des 19. Jahrhunderts, die die Region geprägt hat. Und in diesem Zusammenhang sind natürlich die öffentlichkeitswirksamen Zechenschließungen im Ruhrgebiet, die mit Protesten der Bergleute und vielen Fernsehbildern einhergegangen sind, deutlich präsenter als Schließungen von Textilfabriken am Niederrhein. Und auch die Verwandlung des „grauen Kohlenpotts“ in heute grüne Landschaften ist viel sichtbarer. Daher verwundert es nicht, wenn Eckart Preen, Wirtschaftsdezernent in Krefeld, es so ausdrückt: „Es war ein stilleres Sterben der Textilindustrie als jenes im Kohlenpott.“ 

Es ist aber auch ein Abschied von der bis in die 1960er Jahre vorherrschende Monostruktur der Niederrhein-Industrie – sicherlich auch nicht schlecht, da Monostrukturen genauso gefährdet von Ausfällen sind wie Monokulturen in der Landwirtschaft. Polystrukturen sind heutzutage also am Niederrhein vorherrschend – übrigens nach wie vor mit der Textilindustrie im Boot. Denn die ist nicht ganz verschwunden. „Ein Beispiel hierfür ist die Verseidag-Indutex GmbH“, sagt Thomas Schauf, Geschäftsführer des Vereins Metropolregion Rheinland, der die GmbH als Hidden Champion in der Region bezeichnet. „Hidden Champions sind Innovationsträger mit einem Impact auf den Transformationsprozess“, sagt er. In anderen Worten also: Protagonisten des strukturellen Wandels. Kriterien für den Begriff der Hidden Champions liefert Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein: „Es geht um Marktführerschaft in einer Nische, um eine hohe Kundennähe bei gleichzeitig globaler Präsenz und eine gute Unternehmenskultur.“ Andere Beispiele hierfür seien in der Region die Siempelkamp Gießerei, Rondo Food oder das Stahlunternehmen Outokumpu.

Auch hier gilt wieder, dass es nicht das Laute ist, das die Hidden Champions am Niederrhein ausmacht. Die Protagonisten werden gerne ein wenig unterschätzt. „Nehmen wir das Thema Industrietextilien. Damit verbindet man oft Arbeitskleidung, Jacken oder Schuhe. Aber es ist weit mehr als das – etwa Metallgewebe als Gebäudeoberflächen“, sagt Schauf. Wer Marktführer sein will in seinem Segment, muss innovativ sein. Wie es etwa die Verseidag-Indutex GmbH ist, die Industrietextilien – im Sinne von Gebäudeoberflächen – für viele der großen Fußballstadien in aller Welt herstellt. Sie dienen den Besuchern als Rege- und Sonnenschutz in Form von Gebäudeüberdachungen. „Das meine ich mit globaler Präsenz eines Nischenthemas – wir werben etwa mit dem Stadion-Dach in Kapstadt. Im Hintergrund ist ganz eindeutig Südafrika zu sehen, das Stadion steht dort – und das Dach kommt vom Niederrhein“, sagt Preen. 

So gut das klingen mag, es gibt auch Herausforderungen für die Region. Trotzdem ist Schauf hier positiv gestimmt, wenn er sagt: „Das Rheinland ist ein gewachsener Wirtschaftsraum mit ganz unterschiedlichen Standortfaktoren – was Vor- und Nachteil zugleich sein kann. Aber die Voraussetzungen für einen gelungenen Strukturwandel sind gegeben.“ Es gibt die Infrastruktur, es gibt Forschung an Hochschulen und Universitäten, dazu natürlich die große Zahl an innovativen Unternehmen, die nicht vor den Herausforderungen zurückschrecken, sondern sie angehen. Der Blick in die benachbarten Niederlande lohne hier, sagt Schauf. „Denn auch unsere Nachbarn investieren, da müssen wir uns nichts vormachen. Nehmen wir etwa die benachbarte Region Eindhoven. Dort wird massiv in Verkehrsinfrastruktur, Wohnungs- und Schulbau investiert“, sagt er. An dieser Stelle komme die Politik ins Spiel, denn um mithalten zu können, müsste es auch in Deutschland, am Niederrhein, in größerem Umfang standortpolitische Entscheidungen getroffen werden. Schauf sagt es so: „Es sind viele Rädchen, die ineinandergreifen müssen, um die Standorte zukunftsfest zu machen.“

Auch der IHK-Geschäftsführer sieht das ähnlich. „Wir befinden uns, Unternehmen und Region, auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Dafür brauchen die Unternehmen allerdings die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu gehören Planbarkeit in der Energiepolitik sowie international wettbewerbsfähige Energiepreise.“

Für Schauf gibt es zwei besonders wichtige ordnungspolitische Themen in dieser Hinsicht. „Die Hafeninfrastruktur muss modernisiert und erweitert werden, außerdem müssen Stromtrassen verfügbar sein, um gerade die energieintensiven Industriezweige zu versorgen.“ Wenn Kritik zu üben ist, dann geht sie in diese Richtung an die Politik. Es geht nach dem Bestellerprinzip: Wenn ich etwas will, dann muss ich auch dafür sorgen, dass es machbar ist“, sagt Schauf. Und gibt damit den Hauptgrund für die Gründung der Metropolregion Rheinland an. „Wir haben uns 2017 gegründet, um als Interessensvertretung der Region in Düsseldorf, in Berlin und auch in Brüssel aufzutreten. Dazu zählen dann unter anderem auch die Industrie- und Wirtschaftsthemen“, sagt Schauf.

Man wolle zusammen mit den Mitgliedskörperschaften - das sind die Kreise, die kreisfreien Städte und die Kammern im Rheinland - die Bedarfe vor Ort in Hinblick auf die strukturpolitischen Bedarfe vor Ort zu ermitteln und diese dann an die entsprechenden Stellen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene weitergeben.„Damit wollen wir ein höheres Bewusstsein dafür schaffen, was in der Region nötig ist. Nur so können wir etwas dazu beitragen, bessere Rahmenbedingungen für den Strukturwandel zu schaffen“, sagt Schauf. WOLFGANG WEITZDÖRFER