Lothar Hörning, Präsident des Comitees Düsseldorfer Carneval, und Andreas-Paul Stieber, Chef des St. Sebastianus Schützenvereins 1316, sind beide erst seit etwa einem Jahr in ihren neuen Ämtern und haben schon viel Neues angestoßen. Gemeinsam wollen sie ihre Vereine und das Düsseldorfer Brauchtum nach vorne bringen.

Herr Stieber, Herr Hörning, was bedeutet das Brauchtum sowohl die Schützen als auch der Karneval - für die Stadt, die Menschen und für Sie persönlich?
Andreas-Paul Stieber Das größte Event des St. Sebastianus Schützenvereins Düsseldorf 1316 ist das Schützenfest mit der Rheinkirmes, für das ich als Schützenchef mitverantwortlich bin. Mit jährlich vier Millionen Besuchern aus dem In- und Ausland ist die Kirmes eines der größten Volksfeste in Deutschland - und wird ausschließlich ehrenamtlich von uns organisiert. Neben Brauchtumspflege und Geselligkeit gehören die Schützen zudem zum sozialen Kitt der Gesellschaft, denn wir helfen einander und den Menschen in der Stadt. Soziales Engagement ist uns sehr wichtig. So vergibt unser Verein alle zwei Jahre den Stephanienpreis an Menschen aus unseren eigenen Reihen, die sich in besonderem Maẞ sozial engagieren. Ich selbst fühle mich dem Brauchtum seit Jahrzehnten verbunden, und zwar nicht nur den Schützen, sondern auch den Karnevalisten.
Lothar Hörning Erstmal ist es mir wichtig zu betonen, dass wir beide Schützen, also Kameraden, sind und uns sehr gut verstehen. Sowohl bei den Schützen als auch bei den Karnevalisten stehen Spaß, Freude und Feiern im Vordergrund. Zum Karneval gehören das Verkleiden, das Schlüpfen in andere Rollen und wie es früher bei den Narren üblich war und wie es heutzutage unser Hoppeditz am 11.11. praktiziert - das Verspotten der Obrigkeiten dazu. Die gesellschaftliche Relevanz des Karnevals reicht mir allerdings nicht, denn neben dem 11.11. ist er nur von Altweiber bis Rosenmontag wirklich sichtbar in der Stadt - das wollen wir ändern. Soziales Engagement ist auch den Karnevalisten wichtig, so sammelt beispielsweise das jeweilige Prinzenpaar stets Geld für soziale Einrichtungen. Ich selbst bin seit Jahrzehnten im Karneval aktiv, fühle mich aber, wie gesagt, auch den Schützen sehr verbunden.
Was möchten Sie in Ihren Vereinen verändern, haben Sie gemeinsame Aktivitäten geplant?
Lothar Hörning Wir möchten zwischen dem Sommer- und Winterbrauchtum Brücken bauen. Dazu gehört, dass wir auf den Veranstaltungen der jeweils anderen auftreten und Grußworte sprechen werden. Es könnte auch einen Mottowagen der Schützen beim nächsten Rosenmontagszug geben.
Andreas-Paul Stieber Mir ist es wichtig, den Stellenwert des Schützenfests im Rahmen der Kirmes aufzuwerten. Dafür möchte ich das Schützenzelt zum „Epizentrum“ der Kirmes machen mit tollen Veranstaltungen, die den Zeltboden zum Beben bringen. Hier könnten die Karnevalisten ein essenzieller Teil sein, beispielsweise könnten wir gemeinsam einen Brauchtumsabend organisieren. Außerdem fehlt auf der Kirmes die gehobene Gastronomie, sowohl für private Feiern als auch für Firmenfeiern könnte es tolle Erlebnispakete geben - wir haben schon einige Ideen.
Lothar Hörning Auch für den Karneval gibt es Ideen. So soll der Hoppeditz, der ja derzeit nur einmal auftritt, eine größere Rolle bekommen. Ich stelle mir eine große VIP-Veranstaltung, ähnlich der Verleihung des Ordens „Wider den tierischen Ernst“, vor, bei der wir an besonders couragierte Menschen den „Goldenen Hoppeditz“ verleihen. Dadurch würde der Karneval aus Düsseldorf heraus bundesweit erstrahlen. Zudem möchte ich den Kö-Sonntag aufwerten, damit auch Menschen aus anderen Städten zum Feiern an die Kö kommen.
Was ist Ihnen beim Blick in die Zukunft besonders wichtig?
Lothar Hörning Wir müssen mehr Besucherinnen und Besucher gewinnen, insbesondere auch jüngere Menschen. Durch die stärkere Vernetzung von Karnevalisten und Schützen ergeben sich Synergien - dabei setzen wir auf einen regen Besucheraustausch. Wenn die Karnevalisten feiern, sollten die Schützen dabei sein und umgekehrt.
Andreas-Paul Stieber Darüber hinaus müssen wir neue Formate mit gesteigertem Unterhaltungswert finden und mehr „Düsseldorf-Gefühl“ erzeugen. Aus diesem Grund wird unter anderem unser Stephanientag am 4. Mai familiärer gestaltet und erstmals an der Konzertmuschel im Hofgarten stattfinden
Beate Werthschulte stellte die Fragen
Kultur ist, wenn man trotzdem lacht!
Seit mehr als zehn Jahren ist der rheinische Karneval offiziell deutsches Kulturerbe. Warum ist das so? Und was bringt das überhaupt?
Seit mehr als zehn Jahren haben es die Närrinnen und Narren im Rheinland schriftlich: Der rheinische Karneval gehört zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands. So hat es die Deutsche Unesco-Kommission jedenfalls im Jahr 2014 beschlossen. Wenn man heute Lothar Hörning fragt, warum die Entscheidung absolut richtig war, dann sprudeln die Argumente förmlich aus ihm heraus. Hörning ist seit April 2024 Präsident des Comitees Düsseldorfer Carneval (CC), das zusammen mit den Narrenhochburgen Aachen, Bonn und Köln (Colonia) die sogenannte ABCD-Initiative gestartet hatte. Der Erfolg gab ihnen Recht: Der rheinische Karneval„schafft seit langer Zeit alljährlich eine generationenübergreifende Gemeinschaft, die sich auf humorige Art mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzt“, hieß es in der Begründung.
Was so noch reichlich trocken klingt, das erfüllen Tausende von ehrenamtlichen Frauen und Männern in den Karnevalsvereinen jedes Jahr, jede Session mit buntem und fröhlichem Leben. „Der Karneval gibt den Menschen grundsätzlich eine positive Stimmung, auch in schwierigen Zeiten“, bringt es Hörning auf den Punkt. Karneval bringe Jung und Alt zusammen und sei in vielerlei Hinsicht integrativ. „Du kannst mitfeiern, egal aus welchem Land du kommst“, betont Hörning - und setzt humoristisch hinzu: „Wir geben auch Nicht-Karnevalisten eine Heimat - nehmen wir mal Norddeutsche und Ostwestfalen.“ Der Karneval fördere den Zusammenhalt in Form des Persönlichen.
Und der Karneval ist unglaublich zäh. „In den 200 Jahren, in denen auch der Düsseldorfer Karneval besteht, ist so viel in der Welt passiert. Und es war der Karneval im Rheinland, der immer mit als Erstes wieder auf den Füßen stand“, verweist Hörning auf dieses Musterbeispiel an Resilienz. Karneval kriegt man nicht klein. Beispiel Corona: „Das war eine Zeit, in der die Menschen isoliert waren“, blickt der CC-Präsident auf die Pandemie zurück. „Der Karneval hat da hervorragend reagiert“ lobt er die Narrenszene.„Die Vereine haben gesagt: Wir schicken den Menschen was nach Hause. Viele haben gemacht, was möglich war. Der Karneval war präsent!“ Außerdem verweist der Düsseldorfer Chef-Karnevalist auf die großen sozialen Leistungen: „Seit 200 Jahren ist der rheinische Karneval sozial eingestellt. In vielen Vereinen wird viel Geld gesammelt für soziale Zwecke.“ Nirgends werde zudem so stark darauf geachtet, dass das Brauchtum lebt. Es gebe eine breite Nachwuchsförderung, die vom Kindergarten bis zur Hochschule reicht.
„Karneval, Fasching, Fastnacht: Das ist eine deutschlandweite, komplette Durchdringung“, lautet Hörnings Fazit. Diese Leistung müsse Beachtung und Bestätigung finden. Das sah vor zehn Jahren auch der Anthropologe Gunther Hirschfelder so. Das Fest stehe für eine anpassungsfähige kulturelle Praxis, die sich über Jahrhunderte immer wieder verändert habe, sagte er damals dem Deutschlandfunk. Schützenswert seien die Sitzungen, die Karnevalsumzüge - „die ganze Vereinskultur“.
Bei so viel Lob stellt sich allerdings gleich die nächste Frage: Was hat denn die Aufnahme des rheinischen Karnevals in die Liste des deutschen Kulturerbes den Vereinen bisher gebracht? „Das ist noch nicht messbar“, räumt Hörning ein. Deswegen will der CC dieses Thema jetzt verstärkt ausspielen. Auch in dessen Jubiläumsorden zum 200-jährigen Bestehen hat das Unesco-Logo Eingang gefunden. Und warum nicht gleich eine Sitzung in Englisch, wenn man weitweit Gäste ansprechen und ins Rheinland locken will?„Wir müssen global denken, auch im Karneval“, glaubt Hörning. Darauf ein„three times thundering Helau“! Manfred Ruch
FAKTOR KARNEVAL
Der Karneval übt einen deutlichen Einfluss auf die Düsseldorfer Wirtschaft aus. Tourismus, Gastgewerbe, Einzelhandel und Veranstaltungsbranche profitieren von Jecken aus aller Welt - rund 250.000 Übernachtungen verzeichnet die Hotelerie zur Karnevalszeit, 750.000 Besucher kommen zum Rosenmontagszug, Tagesreisende sorgen so für einen Umsatz von rund 24 Millionen Euro. Insgesamt werden nach Angaben des Comitees Düsseldorfer Carneval jährlich etwa 150 Millionen Euro Umsatz mit dem Karneval gemacht.