200 Jahre Düsseldorfer Karneval Für manchen Düsseldorfer Karnevalswagen bleibt nur wenig Zeit

Interview mit dem politischen Karikaturisten Jacques Tilly über seine Mottowagen, Grenzen, die er überschreitet, Kirchenkritik und vieles mehr.

Jacques Tilly und einer seiner Mottowagen. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat dem Wagenbauer den Landesverdienstorden verliehen - für herausragende Verdienste um das Gemeinwohl und das Land Nordrhein-Westfalen. FOTO: DPA

Zweifelsohne: Düsseldorf setzt Maßstäbe, wenn es um politischen Humor im Rosenmontagszug geht. Das Gesicht dieses Erfolgs ist Jacques Tilly, ein Meister der politischen Karikatur. Sein bissiger Stil, seine schonungslose Kritik an Politik, Kirche und Gesellschaft - das ist der Markenkern des Düsseldorfer Umzugs, der längst auch international Aufmerksamkeit findet. Das federführende Comitee Düsseldorfer Carneval gewährt dem 61-jährigen Künstler seit Jahrzehnten die Narrenfreiheit, die es dafür braucht. Ein Gespräch mit dem Polit-Satiriker.

Herr Tilly, wenn man Ihre Wagen sieht, kommen einem die anderen närrischen Metropolen recht zahm oder manchmal sogar feige vor. Ich denke da an Charlie Hebdo. Sie haben es damals vor zehn Jahren mutig thematisiert, andere haben lieber nichts gemacht. Wie wird man so angstfrei?

Jacques Tilly (lacht)
Ich habe schon immer die Vorstellung gehabt, dass man Demokratiegegnern und autoritären Ideologien keinen Fuẞbreit nachgibt. Aber das muss ja auch getragen werden von den Karnevalisten, die das organisieren. Und da habe ich das Glück in Düsseldorf, dass wir immer Karnevals obere hatten, die einfach wirklich angstfrei waren. Gerade nach dem Charlie Hebdo-Attentat 2015 hatten wir eine sehr schwierige Situation, der Zug in Braunschweig wurde wegen Terrordrohung abgesagt. Es war also gar nicht einfach, dazu das Richtige zu machen. Aber meine Karnevalsbosse, die waren fast entschlossener als ich. Sie haben mich ermutigt und haben darauf bestanden, zu diesem Thema etwas Starkes durch die Straßen fahren zu lassen. Wir haben dann vier Wagen zu dem Thema islamistischer Terror und islamistisch fundierte Gewalt gebaut, für andere Narrenhochburgen, die sich vornehm zurückgehalten haben, gleich mit. Wir hatten uns zuvor jahrelang immer wieder aus dem Fenster gelehnt und gesagt, Satire muss weh tun, Satire muss an die Grenzen gehen und muss unbeeindruckt von möglichen Konsequenzen die Wahrheit zeigen, wie sie uns erscheint. Und dann können wir jetzt nicht umkippen, wenn uns mal der Gegenwind ins Gesicht bläst. Wenn die Wagen für ihre Durchschlagskraft gelobt werden, dann muss ich immer dazu sagen: Das bin ich wirklich nicht alleine. Das sind immer auch die Entscheider in Düsseldorf, für die ich sehr gerne arbeite, weil die immer die schärferen, die härteren Wagen durchgewunken haben, ohne Angst zu haben, dass ihnen das irgendwie auf die Füße fällt. Es fiel mal tatsächlich der Satz eines Geschäftsführers: Der Wagen ist toll und der fährt, und wenn wir dafür alle zurücktreten müssen. Das ist eine Gemeinschaftsarbeit. Darum bin auch ich immer noch so motiviert dabei.

Prügel-Nonne, der nackte Kohl, Putin in homoerotischer Pose: Das sind nur ein paar spektakuläre Beispiele. Und jedes Jahr fragt sich die Narrenwelt: Was haut denn der Tilly diesmal raus? Wächst da nicht der Druck, immer neue Grenzen zu überschreiten?

Jacques Tilly
Die Gefahr habe ich immer im Blick, dass es so eine Art Selbstüberholung gibt und das Ganze ins Absurde oder ins Inakzeptable kippt. Ich habe halt den Grundsatz: Selbst wenn man zu weit geht, muss man wissen, wie weit man zu weit gehen darf. Selbst da gibt es eine Grenze.

Die Entwürfe für die politischen Wagen entstehen im Januar. Für bundesdeutsche Themen dürfte das diesmal schwierig werden, oder? Es weiß doch im Januar noch niemand, wo die Reise am 23. Februar hingeht.

Jacques Tilly
Wir haben eine Woche Zeit, die Bundestagswahl närrisch zu kommentieren, das wird schon eine sportliche Herausforderung. Es wird Rosenmontag zwar schon klar sein, wer Kanzler wird, aber es wird wohl noch offen sein, welche Parteien letztendlich in der Regierung sitzen. Wir haben nur eine Woche Zeit zu reagieren. Das ist wirklich knapp. Trotzdem müssen wir in diesen sieben Tagen schon zwei, drei Wagen bauen. Und es kann in der letzten Woche noch überraschende Ereignisse geben. Dann haben wir vielleicht einen Scholz gebaut, aber der nimmt dann seinen Hut, weil die SPD vielleicht nur auf zwölf Prozent kommt.

Machen Sie jetzt unterschiedliche Entwürfe für diverse Wahlausgänge? Wie Kanzler Scholz mit seinen verschiedenen Redemanuskripten vor dem FDP-Rauswurf?

Jacques Tilly
Ja, das werden wir auch so machen. Ich werde wahrscheinlich viele Entwürfe schon in der Schublade haben, damit ich nicht noch drei Tage überlegen muss, was ich dann baue. Wir werden für den Fall einen Entwurf haben und für den Fall einen Entwurf, den wir schon besprochen haben, sodass wir am Montag nach dem Wahlabend eigentlich schon direkt anfangen können zu bauen. Sonst würden wir das zeitlich nicht hinkriegen. Wir haben in Düsseldorf zum Glück diese Leichtbauweise, die ist unschlagbar. Wir können in einer Nacht einen Wagen bauen.

Wagenbauer Jacques Tilly bleibt mitunter wenig Zeit, seine Ideen umzusetzen. FOTO: ANDREAS BRETZ
Wagenbauer Jacques Tilly bleibt mitunter wenig Zeit, seine Ideen umzusetzen. FOTO: ANDREAS BRETZ

Wie viel persönlicher Tilly steckt eigentlich in den politischen Wagen? Nehmen wir Ihre heftige Kirchenkritik als Beispiel. Sie leben ja ausdrücklich “gottlos glücklich“.

Jacques Tilly
Ich bin kein Atheist, sondern Agnostiker. Atheisten wissen ja auch alles ganz genau, das passt mir ebenfalls nicht. Ich bin jemand, der für weltanschauliche Bescheidenheit plädiert. Gerade über Dinge, über die man nicht genau Bescheid wissen kann, zum Beispiel ob es ein Leben nach dem Tod gibt, da sollte man vielleicht lieber nicht so selbstüberzeugt daherreden. Vieles kann einfach offen bleiben, man muss nicht jede Frage beantworten. Agnostizismus wird gerne mit windelweicher Unentschlossenheit gleichgesetzt. Ich sehe mich aber eher als aggressiver Agnostiker. Ich sage, ich weiß es nicht, aber du eben auch nicht. Ich pfeife halt Leute zurück, die mir Dinge weismachen wollen, die sie selber gar nicht wissen können. Etwa was Gott will oder nicht will. Aber natürlich will ich keinen Jacques-Tilly-Zug machen, um die Leute mit meinen Überzeugungen zu missionieren. Ich will den Menschen nichts aufdrängen. Ich will nur das in ein möglichst klares und humoristisches Bild setzen, was die Menschen im Kopf haben und was in der Luft liegt, damit sich die breite Mehrheit der Gesellschaft mit diesem Wagen identifizieren kann. Ich freue mich, wenn das jecke Volk am Straßenrand seine Handys zückt und die Wagen gut findet. Das ist ja der Sinn der Sache.

Manfred Ruch führte das Interview