Er war elf, als er zum ersten Mal auf einem Stuhl in einer Düsseldorfer Gaststätte stand und Witze erzählte. „Entweder du hast es im Blut oder eben nicht“, sagt Hermann Schmitz. Und er hat es eben im Blut: den Karneval, diesen besonderen Klang der jecken Mundart, den Blick auf die Welt mit einem Augenzwinkern. Hermann Schmitz hat seit damals auf dem Stuhl in der Gaststätte viele ehrenhafte Ämter im Karneval bekleidet: Er war 40 Jahre lang Präsident der Unterrather Funken Blau Gelb, er war zehn Jahre lang Hoppeditz, mehr als 20 Jahre Rosenmontagszugleiter und 1993 Prinz. „Der Karneval ist ein Bazillus“, sagt er, lacht und blättert durch ein dickes Album mit Zeitungsartikeln.

Als Hermann Schmitz damals zu den Unterrather Funken kam, da sah Karneval noch anders aus. „Wir haben mit wenig viel gemacht“, sagt er ein bisschen wehmütig, „so war Karneval früher.“ Da habe niemand das Geld gehabt für teure Kostüme. Stattdessen habe man Bierdeckel an einen alten Mantel genäht. „Das war der echte Karneval“, sagt Schmitz, „wir haben vieles selber gemacht.“ Er sei damals von Kneipe zu Kneipe gelaufen, um Karten für die Karnevalsveranstaltungen zu verkaufen.
Als Hermann Schmitz weiterblättert, kommt er zu den berühmten Wagen des Rosenmontagszugs. „Die haben die Gesellschaften früher noch selber gebaut“, erzählt er. Schmitz erinnert sich auch an die erste Begegnung mit Jacques Tilly. „Der hat wirklich Talent“, habe er als damaliger Rosenmontagszugleiter gedacht und ihn dann für den Karneval angeworben. Während sich die Karnevalisten mit ihren bissigen Wagen weit über die Grenzen der Stadt einen Namen machten, diskutierte Hermann Schmitz mit den Vereinen. „Wir haben damals nachts vor der Flipchart gesessen und die Wagenreihenfolge eingeteilt“, erzählt er, „für die Vereine vorne bist du der liebe Mann, hinten sieht das anders aus.“ Er habe früh den Vorschlag gemacht, die Reihenfolge auszulosen. Davon habe damals aber niemand etwas wissen wollen. Heute ist das Gang und Gebe. „Ich habe immer gesagt: Wir machen den Zug für Düsseldorf, nicht fürs Fernsehen“, sagt Schmitz.

Ohnehin habe er immer offen gesprochen. Auch deswegen schlugen ihn die Karnevalisten 1980 als Hoppeditz vor. Schmitz war längst in der Bütt Zuhause und mit Partner Werner Ruhnau als das Kofferduo unterwegs. „Ich war halt das Spring-Upp-Männeken“, sagt er und lacht. Aber als Hoppeditz sah er sich plötzlich in einer neuen Verantwortung. Er holte sich Unterstützung bei Altstadt-Poet Jupp Schäfer, der erste Hoppeditz nach dem Krieg. „Er wurde mir zum väterlichen Freund und Mentor“, sagt Schmitz. Er brachte die Ideen ein, Jupp Schäfer verwandelte sie in Worte. Kurz und knapp. Lokalpolitisch. Zehn Jahre später gab Schmitz die Aufgabe wieder ab: „Da hatte ich nichts mehr zu vertellen.“
Stattdessen wurde er 1993 Prinz. „Das ist doch jedem Karnevalisten sein Wunsch“, sagt er. Und weil er 30 Jahre karnevalistische Bühnenerfahrung hatte, fiel es ihm nicht schwer, mit seiner Venezia für eine Session im Rampenlicht zu stehen. „Ich war ein Volksprinz“, sagt er und grinst. Die Bühnenbilder für die großen Veranstaltungen baute er selbst mit Unterstützung von Menschen mit Behinderung, mit denen er beruflich zusammenarbeitete. „Auch das ist unser Karneval“, sagt Schmitz, „in Düsseldorf gehören alle dazu.“ '
So wie Hermann Schmitz gab es in der langen Karnevalsgeschichte der Landeshauptstadt viele Menschen, die den Karneval einfach im Blut hatten. Das beweist ein Besuch im „Haus des Karnevals“ in Düsseldorf. Hier wacht Museumsleiter Stefan Winkler-Nottscheidt über zahlreiche Zeugen der Vergangenheit. Sie erzählen auch von jenem Bemühen vor 200 Jahren, den ausufernden Karneval am Rhein in organisierte Bahnen zu lenken. Das gelang spätestens mit der Gründung des „Allgemeinen Vereins der Karnevalsfreunde Düsseldorf“ (kurz AVDK) 1829 - heute die älteste Karnevalsgesellschaft der Stadt und der drittälteste Karnevalsverein bundesweit. Heute sind 70 verschiedene Karnevalsvereine in der Stadt aktiv.
Und jede neue Gründung verändert auch den Karneval in Düsseldorf - so wie die KG Regenbogen, die Benrather Schlossnarren oder die Kaiserwerther Karnevalsgesellschaft. Sie haben die lange Aufnahmeprozedur des Comitees des Düsseldorfer Carnevals durchlaufen und am Ende die Zusage bekommen. „Der Karneval in Düsseldorf ist beweglich geblieben“, sagt Winkler-Nottscheidt. Er spiegle immer die Gesellschaft wider. Und doch seien sich der Karneval und der Rosenmontagszug treu geblieben: Der Held Karneval zeigt seiner Braut die Stadt - mit einem großen Festzug. Seit jeher gilt der Düsseldorfer Rosenmontagszug dabei als deutlich politischer als andere Züge in der Region. „Und damit pflegt er auch die ursprüngliche Tradition des Festes“, sagt Stefan Winkler-Nottscheidt und erinnern an Zeiten, als Herr und Sklave einen Tag lang die Rollen tauschten und als die Kostümierung dafür sorgte, dass Standesunterscheide unsichtbar wurden. Auch heute gilt: An Karneval begegnet man sich auf Augenhöhe.

Wer eine Führung durch das „Haus des Karnevals“ mitmacht, begegnet auch der Geschichte von Leo Statz- und damit einem weiteren Düsseldorfer, dem der Karneval im Blut lag. Manch ein Karnevalslied und Gedicht stammt aus seiner Feder. Als Präsident des Karnevalsausschusses und der Prinzengarde brachte er als Kritiker des Dritten Reiches die Nationalsozialisten gegen sich auf. Die Nazis forderten die Karnevalisten auf, einen neuen Präsidenten zu wählen. Bei der nächsten Wahl entschieden sich die Düsseldorfer Jecken erneut für Leo Statz. Im November 1943 richteten ihn die Nazis hin. Heute erinnert nicht nur ein Denkmal, eine Straße in Golzheim, ein Platz und ein Berufskolleg in Unterbilk in Düsseldorf an seine Verdienste, sondern auch das „Haus des Karnevals“.
Übrigens können Besucher im Karnevalsmuseum auch in Erinnerungen an viele Karnevalswagen von Jaques Tilly aus den vergangenen Jahren schwelgen. „Wenn der Rosenmontagszug schon wieder Geschichte ist, dann wird international immer noch über die Wagen in Düsseldorf berichtet“, erinnert Winkler-Nottscheidt. Der Brexit-Wagen rollte nach seinem Auftritt in der Landeshauptstadt später durch London. Und sowohl der polnische als auch der türkische Präsident bestellten nach dem Zug schon die deutschen Botschafter ein.
THERESA DEMSKI